5.4 Die Realität der Massenmedien

Nachdem der Einstieg durch die Beschreibung der systemtheoretischen Grundlage vollzogen wurde, soll nun das Spiegelmodell Luhmanns beschrieben werden, um die Rolle Teilsystem der Medien herauszustellen. Dieses Modell ist eng mit dem Begriff der Öffentlichkeit verbunden, welcher bereits in Punkt 7.2 skizziert wurde.

„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien [...] Andererseits wissen wir so viel über die Massenmedien, daß wir diesen Quellen nicht trauen können“.[1]

Luhmann begründet diese These damit, dass es sich bei den Massenmedien wie bei allen Funktionssystemen um ein operativ geschlossenes und insofern autopoietisches System handle. Damit unterscheidet sich das System der Massenmedien nicht von dem der Wirtschaft, der Politik, der Wissenschaft oder des Rechts. Zudem ist auch die Kognition selbstreferentiell und geschlossen.[2] „Dies gilt auch dann, wenn man berücksichtigt, daß in der Gesellschaft mit dem System der Massenmedien aus dessen Umwelt heraus kommuniziert werden kann. Denn auch diese Kommunikationen sind nur möglich auf Grund des Wissens, das die Massenmedien bereitgestellt haben; und außerdem verstehen die Massenmedien das, was ihnen mitgeteilt wird, nur auf Grund ihres eigenen Netzwerkes der Reproduktion von Informationen“.[3] Jede Kommunikation in und mit Massenmedien bleibt gebunden an die Schemata, die dafür zur Verfügung stehen.

Dies bedeutet, dass die Massenmedien nicht die Abbildung einer von ihnen unterschiedenen Realität darstellen, und das auch gar nicht leisten können, sondern ihre primäre Aufgabe darin liegt, selbst eine Realität zu erzeugen, die sie als Nachrichten, Berichte, Werbung tagtäglich verbreiten. Paradox ist, dass diese Realität, obwohl sie eine gemachte und selektiv zustande gekommene Realität ist, und uns dies bewusst ist, die gesellschaftlich relevante ist, die sich auch nicht dadurch auflöst und einen Blick auf die wirkliche Realität gewährt, wenn man durchschaut, wie diese produziert, konstruiert und konsumiert wird.[4]

Mit dem Begriff der Massenmedien sollen also alle Einrichtungen der Gesellschaft betrachtet werden, die sich zur Verbreitung von Kommunikation technischer Mittel der Vervielfältigung bedienen. Vor allem meint Luhmann hier Bücher, Zeitschriften, Zeitungen, aber auch photographische oder elektronische Kopierverfahren (hier kann man zwangsläufig an das Internet und die Online-Präsenzen der großen Zeitungen oder Magazine denken) jeder Art, sofern sie Produkte in großer Zahl mit noch unbestimmten Adressaten erzeugen. Auch die Verbreitung der Kommunikation über Funk wurde bedacht, allerdings unter dem Begriff, dass sie allgemein zugänglich ist und nicht nur der telefonischen Verbindung einzelner Teilnehmer dient.[5]

Diese Beispiele der Verbreitungstechnologie der Massenmedien leisten das, „was für die Ausdifferenzierung der Wirtschaft durch das Medium Geld geleistet wird: Sie konstituiert selber nur ein Medium, das Formenbildungen ermöglicht, die dann, anders als das Medium selbst, die kommunikativen Operationen bilden, die die Ausdifferenzierung und die operative Schließung des Systems ermöglichen“[6]. Entscheidend ist in diesen Fall jedoch, dass, aufgrund der Beschaffenheit dieser Technologien, „keine Interaktion unter Anwesenden zwischen Sendern und Empfängern stattfinden kann“.[7] Die Konsequenzen sind denkbar weitreichend. Es kann keine unmittelbare Rückkopplung zwischen Sender und Empfänger stattfinden, die zentral gesteuert werden kann, sondern beide müssen sich eigene Bilder des anderen konstruieren: „Die Medienmacher haben gewisse Vorstellungen, für wen sie eigentlich produzieren, aber es handelt sich um Vermutungen, Spekulationen und statistische Werte, die den Zuschauer ausmachen“[8]

Massenmedien müssen somit individualisieren, verallgemeinernd produzieren und können sich gar nicht auf das Individuum beziehen. Dieses Dilemma beschreibt die strukturelle Operationsweise der Medien.

Diese Ambivalenz verstärkt sich durch einen weiteren Vorgang. Massenmedien besitzen eine doppelte „Realität“.[9] Zum einen bezeichnet diese „Realität“ der Massenmedien ihre technische Vorgehensweise. Schrift, Funk, Fernsehbild, „also alles was die durch sie verbreitete und in ihrem System als durchlaufende Kommunikation verstanden werden kann“[10]. Zum anderen erzeugen sie Realität für sich und andere. Im Gegensatz zur technischen Operation steht hier die Beobachtung im Fokus, die Frage wie die Massenmedien die Welt beobachten?[11]

Die Antwort ist, dass eine Realitätsverdopplung stattfindet: „Es kommuniziert tatsächlich über etwas. Über etwas anderes oder über sich selbst.“[12] Massenmedien unterscheiden zwischen Selbst- und Fremdreferenz und man kann dies beobachten:

„Themen bilden nicht nur das ‚Gedächtnis’ der Medien, sondern stellen die strukturelle Kopplung an andere Gesellschaftsbereiche dar. Innerhalb des Systems, und das macht die eigentliche Funktionsweise aus, kommt es zu einer laufenden Abstimmung zwischen Selbst- und Fremdreferenz. Konstruktion der Realität meint nicht Beliebigkeit oder sogar Willkür – im Gegenteil, die laufende Erzeugung der Einheit von Selbst- und Fremdreferenz ist, bei vorausgesetzter operativer Geschlossenheit des Systems, der regelgeleitete Modus, mit dem die Medien Realität systematisch erzeugen“[13]

Neben dem ständigen Prozessieren der Differenz von Selbst- und Fremdreferenz müssen die Massenmedien auch noch systemspezifisch unterscheiden können, welche Kommunikation massenmedial und eben nicht rechtlich, wissenschaftlich oder religiös ist. Hier knüpft Luhmann an seine Ausdifferenzierungs- und Medientheorie an. Das Moderne der modernen Gesellschaft ist ihre funktionale Differenzierung in unterschiedliche Subsysteme, die jeweils ihre eigene Kommunikationsweise ausgebildet haben.[14]

Der Code für ein Teilsystem der Massenmedien ist Information/Nichtinformation, wobei Information der positive Wert ist, an den fortlaufend angeschlossen werden kann, und Nichtinformation der negative, der Reflexionswert ist, der angibt, unter welchen Voraussetzungen der positive Wert eingesetzt werden kann.[15] Diese Art der Codierung hat zwei Besonderheiten, die als Folge eine ständige Unruhe und Irritation in der Gesellschaft produzieren.[16] Durch die Codierung wird der Zwang zur laufenden Generierung von Informationen erzeugt. Ereignisse verlieren ihren Informationswert, wenn sie wiederholt werden.[17] Ein Ereignis, von dem immer wieder berichtet wird, ist nicht mehr informativ, sondern nur noch redundant. Dies lässt sich an einer ganz einfachen Alltagsbeobachtung festmachen: Wird die mediale Berichterstattung überreizt, wendet sich der Leser ab und beschäftigt sich mit anderen Themen. Als Beispiel hierfür kann die Berichterstattung um den GAU in Fukushima gelten. Nachdem keine für den Leser nennenswerten Neuigkeiten, inklusive der Live-Ticker, berichtet werden konnten, wandte sich Medienlandschaft abrupt ab.

Die „Nachrichten“ entsprechen wahrscheinlich am ehesten den Erwartungen an eine realitätsabbildende Funktion der Medien.[18] Obwohl hier Informationen im Modus der Neutralität und der Objektivität angeboten werden, zeigt sich bei näherem Hinsehen, dass die Massenmedien nicht so sehr an der Wahrheit, schon gar nicht an der wissenschaftlich erzeugten Wahrheit interessiert sind und dies auch strukturell gar nicht können. Das Problem besteht nämlich in der geregelten Selektivität.[19]

„Entscheidend ist die Einsicht, dass die Medien, selbst wenn sie es wollten, keine Punkt-für-Punkt Korrespondenz zu ihrer Umwelt [zwischen Information und Sachverhalt, zwischen der operativen und repräsentierten Realität] herstellen könnten, das würde nämlich bedeuten, man könnte und vor allem das System selbst könnte sich nicht von seiner Umwelt unterscheiden.“[20]

Wie wir im Laufe der Arbeit festgestellt haben, müssen Systeme mit der Unterscheidung zwischen System und Umwelt arbeiten, um beobachten zu können. Sie müssen diese Differenz von System und Umwelt in das System mit der Unterscheidung von Selbst- und Fremdreferenz hineinkopieren:

„Es geht dabei weniger um die Tatsache der Auswahl als solcher als vielmehr um die Erfordernisse der Massenmedien, die Differenz von Information/Nichtinformation für die Gesellschaft zu prozessieren. Viele dieser Selektionsroutinen sind weidlich bekannt. Konflikte werden bevorzugt, ebenso von den normalen Erwartungen abweichende Ereignisse. Quantitäten sind besonders leicht als Informationen darstellbar, weil Zahlen immer von anderen Zahlen differieren und dadurch Neues suggerieren. Normverstöße erwecken besondere Aufmerksamkeit insbesondere dann, wenn sie sich zu Skandalen verdichten. Eindeutig liegt die Präferenz der Medien bei außergewöhnlichen Ereignissen und bei moralischen Bewertungen. Dies alles sind Beispiele, wie aus Ereignissen Informationen und aus Informationen Nachrichten werden, die dann wieder unser Bild der gesellschaftlichen Wirklichkeit prägen..“[21]

Das, was die Medien als Realität präsentieren, ist nichts anderes als ein Erzeugnis ihrer selbst, bei dessen Schaffung sie nicht auf ihre Umwelt angewiesen sind.[22]

Ein Problem entsteht jedoch dadurch, dass den Massenmedien der Verdacht anhaftet, interessengesteuert zu sein. Die Massenmedien scheinen ihre eigene Glaubwürdigkeit zugleich zu pflegen und zu untergraben.[23] „Sie ‚dekonstruieren‘ sich selber, da sie mit ihren eigenen Operationen den ständigen Widerspruch ihrer konstativen und ihrer performativen Textkomponenten reproduzieren.“[24] Als Grund für diesen Widerspruch sieht Luhmann das Programm Werbung (siehe binäre Codierung):

„Dieser Widerspruch wird, wenn auch auf andere Weise, durch die Werbung, reproduziert. Nicht die Erzeugung des schönen Scheins der Wahrheit liegt der Werbung zugrunde, im Gegenteil, sie deklariert ihren Willen zur Manipulation offen. Und indem sie das tut, kann sie um so besser die Motive und das Gedächtnis des Umworbenen beeinflussen. Werbung ist Beihilfe zur Selbsttäuschung, indem sie ihre eigene Unaufrichtigkeit laut verkündet.“[25]

Nicht das Produkt ist in der Werbung ausschlaggebend; sondern ihre latente Funktion besteht darin, „Leute ohne Geschmack mit Geschmack zu versorgen“.[26] Damit liegt auf der Hand was Sinn und Zweck der Werbung ist: Die Erzeugung von Realität. Dieses Phänomen können wir heute am deutlichsten an den Werbekampagnen von „Apple“ beobachten. Die Werbung spielt bei „Apple“ scheinbar nur eine unwesentliche Rolle, da die Produkte hauptsächlich über die Medienlandschaft in Form von „Gerüchteküchen“ und „Testberichten aus dem Alltag“ angepriesen und vertrieben werden. Die für den Konsumenten nicht sichtbare Werbekampagne des Unternehmens erzeugt den Wunsch des „haben wollen“, da es scheinbar das ist, worauf man immer gewartet hat.

„Die wichtigste Funktion der Werbung dürfte deshalb auch in einer produzierten Wirklichkeit liegen, die zugleich Redundanz und Varietät in immer neuen Formen für das Alltagsleben entstehen lässt.“[27] Die Werbung dient, wie Nachrichten und Unterhaltung (Talkshows, Filme usw.), in dem System der Massenmedien als „Programm“(siehe „binäre Codierung).

Das weitaus schwierigste Programm stellt jedoch für den Alltag die Unterhaltung dar. Auch hier scheinen die Grenzen nicht klar sichtbar:

„Unterhaltung ist Fiktion, Tatsachenvermittlung, Werbung und Erzählung (Gedächtnis) in einer bunten Gemengelage, so dass es nicht leicht fällt, eine durchgängige Struktur zu finden. Massenmedial produzierte Unterhaltung setzt voraus, dass der Zuschauer, im Gegensatz zu seinem eigenen Leben, Anfang und Ende beobachten kann [...] Es entsteht eine zweite, fiktionale Realitätsebene, die aber, weil sie Imagination ist, Information benötigt und hier klinken sich die Massenmedien mit ihrem Code Information/Nichtinformation ein. Unterhaltung muss, obwohl fiktional, auch „realitätsgerecht“ sein. Sie muss in Verbindung zur Alltagswelt der Zuschauer stehen oder zumindest dazu, wie sich die Medien diese vorstellen. Genau an dieser Stelle setzt der Mechanismus von Selbst- und Fremdreferenz ein. Filme, Geschichten oder Talkshows müssen zum einen ihre eigene Plausibilität erzeugen. Sie leben von selbst gemachten Stories, Handlungsabläufen usw.“[28]

An dieser Stelle wird wieder das Konzept der Beobachtung zweiter Ordnung deutlich:

„Auch ist die Wirkung nicht mit dem einfachen Konzept der Analogiebildung und der Nachahmung zu erfassen – so als ob man nun mit sich selbst ausprobierte, was man im Roman gelesen oder im Film gesehen hat. Man wird nicht zur Angleichung eigenen Verhaltens motiviert (das würde das eigene Können rasch überfordern und, wie man weiß, lächerlich wirken). Man lernt Beobachter beobachten -und zwar im Hinblick auf die Art, wie sie auf Situationen reagieren, also: wie sie selber beobachten. Dabei ist man als Beobachter zweiter Ordnung klüger, aber auch weniger motiviert als der, den man beobachtet; und man kann erkennen, dass er für sich selbst weitgehend intransparent bleibt, oder mit Freud: nicht nur etwas zu verbergen hat, sondern etwas latent Bleibendes ist.“[29]

Unterhaltung bewirkt somit, dass sich der Mensch in der dargestellten Welt verorten kann, ohne das er in eine bestimmte Richtung gesteuert wird, denn dafür sind, laut Luhmann, Psychologische Effekte viel zu komplex. Was jedoch Fiktion auslösen kann, sahen wir bereits in Habermas’ Definition des Strukturwandels der Öffentlichkeit: Sie war im 18. Jahrhundert ein Grundpfeiler der Entwicklung der mündigen Gesellschaft.

Nachdem wir die Programme im System der Massenmedien betrachtet haben, stellt sich nun die Frage, wie Massenmedien in den Kontakt zur ihrer gesellschaftlichen Umwelt treten? Durch strukturelle Kopplung. Strukturell bedeutet, ohne dass man auf kausale Abhängigkeiten eingehen muss, „die wechselseitige Angewiesenheit der Programmtypen auf spezifische Umweltlagen des Systems. […] Massenmedien erzeugen eine Hintergrundrealität, die das ‚Gedächtnis‘ der Gesellschaft bilden.“[30].

Dabei ist zu beachten, dass nicht die aktuelle Meldung von Bedeutung ist, sondern die Erzeugung bestimmter Realitätsannahmen, an die man in der gesellschaftlichen Kommunikation anknüpfen und auf deren Anschlussfähigkeit man vertrauen kann. Aus diesem Grund können Themen auch als wichtiger betrachtet werden, statt der jeweils aktuellen Meinungen, die in den Medien verbreitet werden.[31]

„Dass dabei Überschneidungen vorkommen ist ungewöhnlich, aber gerade durch die Differenz der Bezüge lassen sich Überschneidungen erst identifizieren und als solche feststellen“[32]. Überschneidungen sind kiritsch anzusehen, da z. B. Medien unabhängig berichten, die Werbung jedoch Konsumwünsche generieren soll. Eine Vermischung dieser Programme kann somit nicht wünschenswert sein.

Das Problem der Überschneidungen entsteht allerdings auf der Grundlage, dass ein einheitliches technisches Medium verwendet wird, welches für unterschiedliche Formen verwendet werden kann.[33] Dies stellt, systemisch gesehen, eigentlich nicht die Regel dar, da sich jedes Programm auf die spezifische Umweltlage seines Systems bezieht. Diese Gemengelage wird im weiteren Verlauf der Arbeit noch eine wichtige Rolle spielen, da das Internet in seiner heutigen Form als Kommunikationsmittel von diesem Problem geradezu durchzogen ist.

Im letzten Abschnitt des Kapitels soll die Rolle der Öffentlichkeit noch näher beleuchtet werden und ihre Rolle im Wechselspiel mit den Medien herausgestellt werden. Aufgrund der gewonnen Vorkenntnisse über das System der Massenmedien lässt sich folgende Aussage treffen:

„Sie [die Massenmedien] leisten einen Beitrag zur Realitätskonstruktion der Gesellschaft. Dazu gehört eine laufende Reaktualisierung der Selbstbeschreibung der Gesellschaft und ihrer kognitiven Welthorizonte, sei es in konsensueller, sei es in dissensueller Form […]“[34]

Will man somit diesen Analysen etwas über die gesellschaftliche Funktion von Massenmedien entnehmen, müssen wir wieder auf die grundlegende Unterscheidung von Operation und Beobachtung zurückgreifen, die uns bereits im Laufe der Arbeit an mehreren Stellen begegnet ist. Genau an dieser Stelle lässt sich die Bedeutung der Massenmedien für das heutige Gesellschaftssystem herausarbeiten. Zuvor soll noch die Definition von Öffentlichkeit in der Systemtheorie dargestellt werden:

„Man kann Öffentlichkeit, einer Anregung von Dirk Baecker folgend, definieren als Reflexion jeder gesellschaftsinternen Systemgrenze, oder anders: als gesellschaftsinterne Umwelt der gesellschaftlichen Teilsysteme, also aller Interaktionen und Organisationen, aber auch der gesellschaftlichen Funktionssysteme und der sozialen Bewegungen. Der Vorteil dieser Definition ist: daß man sie auf die gesellschaftlichen Funktionssysteme übertragen kann. Der ‚Markt‘ wäre dann die wirtschaftssysteminterne Umwelt wirtschaftlicher Organisationen und Interaktionen; die ‚öffentliche Meinung‘ wäre die politiksysteminterne Umwelt politischer Organisationen und Interaktionen.“[35]

Massenmedien stellen täglich eine Vielzahl an Informationen bereit. Dieser Umstand führt dazu, dass eine unmittelbare Beobachtung der Umwelt nahezu unmöglich ist, stattdessen beobachtet man die Umwelt über die Massenmedien, die tagtäglich Berichte, Reportagen, Meldungen etc. veröffentlichen. Deshalb muss Öffentlichkeit als ein Beobachtungssystem der Gesellschaft begriffen werden, in welchem der öffentliche Diskurs eine sekundäre Rolle einnimmt.[36] Die Publizität steht stattdessen im Mittelpunkt, da die Reproduktion zu dem zentralen Anliegen des Systems der Massenmedien zählt. Wie wir außerdem bereits festgestellt haben, zeichnet sich Öffentlichkeit durch ihre Offenheit aus. Sie steht zwischen den Systemen wie Politik, Recht, Wirtschaft oder Kultur. Daher ist sie zunächst thematisch offen.

Die Funktion der Öffentlichkeit besteht darin, dass sie die Selbstbeobachtung und die Herstellung einer Selbstbeschreibung von Gesellschaft mittels Veröffentlichung von Themen ermöglicht. Kurz: Öffentlichkeit dient als Reflexionsmedium.[37] Jedoch wird Öffentlichkeit keineswegs auf das Spiegelbild der Wirklichkeit der gesellschaftlichen Teilsysteme reduziert, sie ist vielmehr die Konstruktion der Wirklichkeit auf der Grundlage der Beobachtung zweiter Ordnung, welche durch die mediale Berichterstattung erzeugt wird:

„Die Massenmedien erzeugen eine transzendentale Illusion. Bei diesem Verständnis wird die Tätigkeit der Massenmedien nicht einfach als Sequenz von Operationen angesehen, sondern als Sequenz von Beobachtungen, oder genauer: von beobachtenden Operationen. Um dieses Verständnis von Massenmedien zu erreichen, müssen wir also ihr Beobachten beobachten. Für das zuerst vorgestellte Verständnis genügt ein Beobachten erster Ordnung, so als ob es um Fakten ginge. Für die zweite Verstehensmöglichkeit muß man die Einstellung eines Beobachters zweiter Ordnung einnehmen, eines Beobachters von Beobachtern.“[38]

Damit wird klar, dass die Medien durch ihre Berichterstattung öffentliche Meinung durch ihre Beobachtung konstruieren. Deshalb definiert Luhmann öffentliche Meinung als Medium der Öffentlichkeit, „in dem durch laufende Kommunikation Formen abgebildet und wieder aufgelöst werden“[39]. Die Entleerung des Begriffs macht es möglich, dass die öffentliche Meinung als Spiegel funktioniert. In der Öffentlichkeit sehen Politiker nicht das, was Menschen wirklich denken, sie sehen nur sich selbst und andere Politiker, die sich vor dem Spiegel für den Spiegel bewegen. Der Effekt des Spiegels liegt nicht in der Korrektur des Handelns, sondern in der Reflexion.[40]

Somit sind, wie eingangs beschrieben, Presse und Funk die Formgeber der öffentlichen Meinung.[41] Diese Formgeber binden die Aufmerksamkeit des Publikums und arbeiten nach bestimmten Regeln, wie z. B. der dauerhaften Bereitstellung von etwas neuem. Laut Luhmann wirken die Medien ebenfalls wie ein undurchsichtiger Spiegel zwischen Zuschauer und Politiker. Die beiden Seiten sehen und wissen nichts voneinander, auch wenn eine Illusion der Direktwahrnehmung durch elektronische Medien für das Publikum erzeugt wird. Bei dieser Illusion handelt es sich jedoch durchaus um die Beobachtung zweiter Ordnung.

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[1] Luhmann, Niklas 2004: Die Realität der Massenmedien. 3. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften: S. 9

[2] Bechmann, G. 2001: Die Abklärung der Aufklärung. In: Vierteljahrbuch des Deutsch-Russischen Kollegs Karlsruhe. (03.03.2012) S. 17

[3] Luhmann 2004: S. 207

[4] Bechmann 2001: S. 17 f.

[5] vergl. Luhmann 2004: S. 9

[6] ebd.: S. 11

[7] ebd.

[8] Bechmann 2001: S. 18

[9] vergl. Luhmann 2004: S. 12

[10] Bechmann 2001: S. 18

[11] vergl. Luhmann 2004: S. 13 f.

[12] ebd.: S. 15

[13] Bechmann 2001: S. 18

[14] vergl. ebd.: S. 19

[15] vergl. Luhmann 2004: S. 36

[16] vergl. ebd.: S. 46

[17] vergl. ebd.: S. 41

[18] vergl. Bechmann 2001: S. 19

[19] vergl. Luhmann 2004: S. 56

[20] Bechmann 2001: S. 20

[21] ebd.

[22] vergl. Luhmann 2004: S. 75

[23] vergl. Bechmann, 2001, S. 20

[24] Luhmann 2004: S. 76

[25] Bechmann 2001: S. 20 f.

[26] Luhmann 2004: S. 89

[27] Bechmann 2001: S. 21

[28] Bechmann 2001: S. 21

[29] Luhmann 2004: S. 112 f.

[30] Bechmann 2001: S. 21

[31] vergl. ebd.: S. 21 f.

[32] ebd.

[33] vergl. Luhmann 2004: S. 119

[34] Luhmann 2004: S. 183

[35] ebd.: S. 184

[36] Gerhards, Jürgen 1998: Öffentlichkeit: S. 11 In: Jarren,Otfried; Sarcinelli, Ulrich und Saxer, Ulrich (Hrsg.): Politische Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft, Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften: S. 268 – 274

[37] Jäckel, Michael 2011: Medienwirkungen: Ein Studienbuch zur Einführung. Wiesbaden: Springer Wissenschaftsverlag: S. 243

[38] Luhmann 2004: S. 14 f.

[39] Jäckel 2011: S. 245

[40] Luhmann, Niklas 1992: Die Beobachtung der Beobachter im politischen System: Zur Theorie der Öffentlichen Meinung. In: Wilke, Jürgen (Hrsg.): Öffentliche Meinung, Theorie, Methoden, Befunde, Beiträge zu Ehren von Elisabeth Noelle-Neumann, Freiburg: S. 77 – 86

[41] Jäckel 2011: S. 227 ff.