5.3.3 Die Beobachtung

Die Beobachtung ist in der Systemtheorie ein Ereignis, das sich durch eine zweiwertige Unterscheidung auszeichnet. „Indem ich z.B. etwas als ‚Stuhl‘ bezeichne, unterscheide ich es zugleich von ‚Sesseln‘oder ‚Tischen‘ oder auch nur von allen anderen Dingen im Raum. Die Bezeichnung ‚Stuhl‘ läBt dabei offen, wovon ich das so bezeichnete Objekt unterscheide, setzt dabei aber die Unterscheidbarkeit des Bezeichneten von anderem voraus .“[1]

Durch Beobachtungen kann das System von der Umwelt unterschieden und als solches bezeichnet werden. Dazu bedarf es, laut Luhmann, keinen Menschen. Auch technische Geräte können vom eigenen System und der Umwelt unterscheiden.

Luhmann bezieht sich bei seinem Beobachtungsbegriff auf sinnkonstruierende Systeme. Mit diesen sind soziale oder psychische Systeme gemeint. „Sinn bestimmt als Selektion die Anschlussfähigkeit, die es den (beobachtenden) Systemen ermöglicht, an vorhergehende Operationen anzuschließen – und auch die Beobachtung ist eine Operation“.[2] Der Beobachter ist somit eine Kette von Beobachtungen und bildet letztendlich ein System oder Teilsystem, welches zur Beobachtung abgestellt wird.[3] An dieser Stelle muss jedoch auf eine Unterscheidung eingegangen werden, die sich im Hinblick auf die Medien, als sehr bedeutend herausstellen wird: Es muss zwischen Selbst- und Fremdbeobachtung unterschieden werden. Ein System kann sowohl sich selbst, als auch andere Systeme beobachten. Diese Beobachtung ist jedoch immer von der jeweiligen internen Struktur des Systems abhängig.[4] Luhmann beschreibt daher, dass es nichts gibt, was unabhängig vom Beobachter gesagt werden kann.[5] Diese einfache Unterscheidung wird als Beobachtung erster Ordnung bezeichnet.

Schneider illustriert diesen Vorgang anhand eines psychischen Systems:

„Gedanken schließen an Gedanken an (Selbstreferenz) und sind zugleich auf etwas, auf einen bestimmten Inhalt gerichtet (Fremdreferenz).Jeder nächste Gedanke schließt an im Kontext dieser Unterscheidung und kann eine ihrer beiden Seiten als Anknüpfungspunkt bezeichnen. Ich denke etwa, dass ich van einem Freund schon lange nichts mehr gehört habe und schließe an den Inhalt dieses Gedankens an, wenn ich überlege, ob er vielleicht durch seinen Beruf so sehr in Anspruch genommen wird, dass ihm zur Pflege freundschaftlicher Beziehungen nur wenig Zeit bleibt. Ist mein nächster Gedanke hingegen, ‚Wie merkwürdig, dass mir dieser Gedanke gerade jetzt kommt‘, dann beziehe ich mich damit nicht auf das Verhalten meines Freundes, sondern auf den Umstand, dass dieses Verhalten gerade jetzt zum Gegenstand eines Gedankens wird, Im ersten Falle markiert der Folgegedanke den fremdreferentiellen Pol der vorausgegangenen psychischen Operation, im zweiten den selbstreferentiellen Pol. Dabei setzt jede Markierung des einen Pols den anderen, der aktuell unbezeichnet bleibt, notwendig voraus. Jede neue Operation, die an eine vorausgegangene anschließt, beobachtet diese mit Hilfe der Unterscheidung van Selbst- und Fremdreferenz und bezeichnet eine ihrer beiden Seiten an der vorausgegangenen Operation des Systems. Die Reproduktion des Systems impliziert die Beobachtung jeder Operation durch ihren Nachfolger und insofern die kontinuierliche Selbstbeobachtung des Systems.“[6]

Durch diese Systemabhängigkeit können somit „blinde Flecken“ entstehen, da jedes System aufgrund seiner Strukturen nur wahrnehmen kann, was diese zulassen. Dieses Problem kann jedoch durch eine Beobachtung der Beobachtung ausgeschaltet werden. Diese wird als Beobachtung zweiter Ordnung bezeichnet. Durch diese „zweite“ Beobachtung kann der „blinde Fleck“ der ersten Beobachtung reflektiert werden.

Da Beobachtungen mit Unterscheidungen gleichgesetzt werden, ist es nicht überraschend, dass diese in einer „unendlichen“ Anzahl zur Verfügung stehen, da eine Sache nun mal unterschiedlich gedeutet werden kann. Somit ist Realität immer vom Beobachter abhängig, was letztendlich zu der Erkenntnis führt, dass jedes System in sich geschlossen ist und ohne Einwirkung von außen seine eigene Realität konstituiert.[7]

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[1] Schneider, Wolfgang Ludwig (2009): Grundlagen der soziologischen Theorie. Band 2: Garfinkel – RC – Habermas – Luhmann. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften: S. 276

[2] vergl. Kluba 2002: S. 19

[3] vergl. Luhmann, Niklas 2002: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft: S. 139 ff.

[4] vergl. ebd.: S. 140

[5] ebd.

[6] Schneider 2009: S. 276

[7] Luhmann 1984: S. 104 f.