5.3.2 Kommunikation

Kommunikation wird nicht als eine Art Phänomen aufgegriffen, sondern als Problem. Denn damit Kommunikation überhaupt stattfinden kann, muss eine Vielzahl an Problemen überwunden werden.[1] Diese Problemlage wird folgendermaßen zusammengefasst:

1. Verstehen: Verstehen meint im systemtheoretischen Kontext das Erfassen von Sinninhalten. Das Problem beim Verstehen von Sinninhalten besteht jedoch darin, dass diese nur in dem jeweiligen Zusammenhang erfasst werden können. Der Grund hierfür liegt denkbar einfach: Niemand kann dem anderen in den Kopf schauen.[2] „Sinn kann nur kontextgebunden verstanden werden, und als Kontext fungiert für jeden zunächst einmal das, was sein eigenes Wahrnehmungsfeld und sein eigenes Gedächtnis bereitstellt.“[3]

2. Das Erreichen von Empfängern: Wenn „kommuniziert“ werden soll, ist es unwahrscheinlich, dass mehr als eine Person erreicht werden kann, da man nicht von der Aufmerksamkeit der „Kommunizierenden“ ausgehen kann.[4]

3. Der Erfolg: Selbst wenn die beiden anderen Bedingungen erfüllt werden, ist weiterhin fraglich, ob sich durch die Kommunikation auch der gewünschte Erfolg einstellt. Es ist nicht klar, ob beim gegenüber eine Akzeptanz oder Annahme der Mitteilung vorherrscht.[5]

Anhand dieser Problemlagen wird klar, warum Kommunikation zunächst als unwahrscheinlich beschrieben werden muss. Sie wirken als Schwellen der Entmutigung. Wer eine Kommunikation für aussichtslos hält, unterlässt sie.[6] Da sich jedoch ohne Kommunikation keine sozialen Systeme bilden können, stellt sich die Frage, wie wir heute dennoch in einer funktionierenden Gesellschaft leben können?

Die Antwort liegt darin, dass durch evolutionäre Vorgänge Mittel und Wege geschaffen wurden, um Kommunikation zu ermöglichen und soziale Systeme zu schaffen. Der Aufbau sozialer Systeme regelt sich daher durch eine erfolgsorientierte Steuerung: Wie „die ‚Unwahrscheinlichkeiten des Kommunikationsprozesses‘ überwunden und in ‚Wahrscheinlichkeiten‘ umgewandelt werden“[7].

Das Mittel zur Umwandlung der Unwahrscheinlichkeiten stellen in der Systemtheorie die Medien dar. Allerdings muss dieser Begriff deutlich differenzierter verstanden werden, da hiermit nicht nur Massenmedien, also Zeitungen oder Rundfunk sowie die Sprache gemeint sind, sondern auch „symbolisch generalisierte Tauschmedien“, wie Geld, Macht, Liebe, Kunst und Wahrheit.[8]

Bevor wir uns jedoch tiefer mit diesen Medien befassen, gilt es noch einmal die grundsätzliche Bedeutung des Kommunikationsbegriffes für die Systemtheorie herauszustellen:

„Gesellschaft [besteht] aus Kommunikation und der Mensch kommt in der Gesellschaft nicht vor.“[9]

Dieses Zitat drückt einen Sachverhalt aus, der sich zunächst nicht mit unseren Beobachtungen im Alltag deckt: Der Mensch kommuniziert nicht. Dennoch zeigt unsere Alltagserfahrung, dass Menschen tagtäglich miteinander kommunizieren. Somit entsteht die Frage, welchen Beitrag die Systemtheorie eigentlich zur Lösung der Problemlage beitragen kann? Die Antwort auf diese Frage bietet eine genauere Beschäftigung mit dem Begriff der „Kommunikation“.

Im Alltag wird üblicherweise der Kommunikationsbegriff mit der Metapher „Übertragung“ gleichgesetzt.[10] Deswegen geht man davon aus, dass die Kommunikation Nachrichten oder Informationen vom Absender auf den Empfänger überträgt. Doch genau diese Metapher stellt sich im Alltag als falsch heraus. Sie suggeriert nämlich, dass der Absender dem Empfänger etwas übergeben würde.[11] Dies trifft aber, laut Luhmann, schon deswegen nicht zu, weil „der Absender nichts weggibt in dem Sinne, dass er selbst es verliert. Die gesamte Metaphorik des Besitzens, Habens, Gebens und Erhaltens, die gesamte Dingmetaphorik ist ungeeignet für ein Verständnis von Kommunikation“.[12]

Durch dieses Missverständnis wird der Fokus beim Verständnis von Kommunikation falsch gesetzt. Dieser deutet an, dass das Wesentliche der Kommunikation der Akt der Übertragung, die Mitteilung, wäre.[13] Diese Einschätzung trifft allerdings nicht zu. Die Mitteilung ist nichts anderes als eine „Anregung“, die erst durch ihre Aufnahme beim Empfänger zur Kommunikation wird. Somit stellt sich die subjektive Annahme, dass Menschen kommunizieren, als undifferenzierte Alltagserfahrung heraus. Diese suggeriert, dass die übertragene Information für Absender und Empfänger dieselbe sei. Luhmann gesteht zwar ein, dass daran etwas Wahres sein mag [14], allerdings wird dies nicht durch die Information an sich, sondern durch den Kommunikationsprozess garantiert. Und genau dieser Prozess ist komplizierter, als uns die Alltagserfahrung zu vermitteln bedarf. Kommunikation setzt ein Höchstmaß an Selektion voraus, da schon das Versenden der Mitteilung, logischerweise, selektiv erfolgt.

„Die Selektion, die in der Kommunikation aktualisiert wird, konstituiert ihren eigenen Horizont; sie konstituiert das, was sie wählt, schon als Selektion, nämlich als Information.“[15]

Der „zweistellige“ Prozess (der Absender teilt dem Empfänger etwas mit) muss somit erweitert werden, um den Vorgang der Kommunikation zu verstehen. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Information selbst ein Moment des Kommunikationsprozesses ist, weil nur durch sie selektive Aufmerksamkeit aktiviert wird und damit einhergehend; der gewünschte Erfolg.

Zu diesem Zweck muss Kommunikation als Einheit aus drei Selektionen definiert werden:[16]

  1. Mitteilung
  2. Information
  3. Verstehen

Vor allem die dritte Selektion entscheidet über den Erfolg der Kommunikation, da diese nur erfolgreich sein kann, wenn zwischen Information und Mitteilung unterschieden werden kann. Deutlich wird dieser Vorgang, anhand eines Beispiels mit dem Adressaten „Alter“ und dem Empfänger „Ego“:

„Im Unterschied zu bloßer Wahrnehmung von informativen Ereignissen kommt Kommunikation nur dadurch zustande, dass Ego zwei Selektionen unterscheiden und diese Differenz seinerseits handhaben kann. Der Einbau dieser Differenz macht Kommunikation erst zur Kommunikation, zu einem Sonderfall von Informationsverarbeitung schlechthin. Die Differenz liegt zunächst in der Beobachtung des Alter durch Ego. Ego ist in der Lage, das Mitteilungsverhalten von dem zu unterscheiden, was es mitteilt. Wenn Alter sich seinerseits beobachtet weiß, kann er diese Differenz von Information und Mitteilungsverhalten selbst übernehmen und sich zu eigen machen, sie ausbauen, ausnutzen und zur […] Steuerung des Kommunikationsprozesses verwenden. Die Kommunikation wird sozusagen von hinten her ermöglicht, gegenläufig zum Zeitablauf des Prozesses.“[17]

Der Kommunikationsprozess ist also dann realisiert, „wenn und soweit die dritte Selektion, das Verstehen, zustande kommt.“[18] Erst dann kann Kommunikation angeschlossen werden.

Doch auch wenn Kommunikation verstanden worden ist, kann ihr Erfolg ausbleiben. Der Grund liegt in der Mehrdeutigkeit der Sprache. Diese bietet viele Möglichkeiten, um auf bestimmte Anliegen zu reagieren. In den meisten Situationen kann somit der Empfänger der Botschaft anders reagieren, als es der Absender intendiert hat. Deswegen wurden im Laufe der gesellschaftlichen Evolution Medien gebildet, um die Aussichten auf eine erfolgreiche Kommunikation zu erhöhen. Wie bereits erwähnt, bezieht sich Luhmann hier auf die „symbolisch generalisierten Tauschmedien“. Das „Medium“ Geld verdeutlicht diese Rolle wohl am besten.[19]

Wenn man z. B. ein Geschäft betritt und eine Ware erhalten möchte, ist es nötig mit dem Verkäufer zu kommunizieren und diesem sein Anliegen zu nennen. Da es aber sehr unwahrscheinlich ist, dass man die gewünschte Ware nur durch das Medium Sprache erhält, zieht man das generalisierte Tauschmedium Geld hinzu, um die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Kommunikation zu erhöhen. Ähnlich verhält es sich mit den weiteren Medien Macht, Liebe und Wahrheit. Sie können, wie Geld, eine erfolgreiche Kommunikation ermöglichen.

Mit der Begriffsdefinition von Kommunikation wurde bereits ein wichtiger Abschnitt des systemtheoretischen Frameworks herausgearbeitet. Allerdings muss der Blick noch auf weitere Aspekte geleitet werden, um den gesamten Komplex der Systemtheorie zu verstehen. Der Begriff der Beobachtung soll deswegen in den Fokus der weiteren Betrachtung gesetzt werden, da auf diese Weise Luhmanns Unterscheidung von System und Umwelt entschlüsselt werden kann. Mit dem Begriff der Beobachtung verhält es sich ähnlich, wie mit dem bereits näher skizzierten der Kommunikation. Er unterscheidet sich deutlich von dem, was mit der Alltagserfahrung wahrgenommen wird.

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[1] vergl. ebd.

[2] vergl. ebd.: S. 14

[3] Luhmann, Niklas 1984: Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp: S. 217.

[4] vergl. ebd.: S. 218

[5] vergl. ebd.: S. 218

[6] vergl. ebd.: S. 218

[7] Kluba 2002: S. 15

[8] vergl. Luhmann 1984: S. 222

[9] Kluba 2002: S. 15

[10] vergl. Luhmann 1984: S. 193

[11] vergl. ebd.

[12] vergl. ebd.

[13] vergl. ebd.: S. 193 ff.

[14] vergl. ebd.: S. 194

[15] ebd.: S. 194

[16] Kluba 2002: S. 17

[17] Luhmann 1984: S. 198

[18] Knudsen, Sven-Eric (2006): Luhmann und Husserl: Systemtheorie im Verhältnis zur Phänomenologie. Würzburg: Königshausen & Neumann: S. 102

[19] Krause, Detlef (2001): Luhmann-Lexikon: Eine Einführung in das Gesamtwerk von Niklas Luhmann; mit über 500 Stichworten. Stuttgart: UTB: S. 42