Unter Digitalisierung der Gesellschaft wird allgemein eine irreversible Veränderung aller gesellschaftlichen Lebensbereiche und sozialen Interaktionsmuster aufgrund innovativer Technologien verstanden. Im Kern dieser Wandlungsprozesse steht die Digitalisierung von Daten bzw. des weltweiten Informationsaufkommens durch einen technologisch innovativen Prozess, der es ermöglicht, Medieninhalte (Text, Audio, Bild, Bewegtbild) in den Binärcode zu überführen und damit für die elektronische Datenverarbeitung bereitzustellen. Hinzu kommt das Internet als ein weltweites Kommunikationsnetzwerk und als ein Konvergenzraum, in dem alle bisherigen, nunmehr digitalisierten Medien, global und in Echtzeit [1] für eine unbegrenzte Anzahl an Nutzern verfügbar werden.
Analoge Medienprodukte verlieren ihre Trägermedien und es kommt zu grundlegenden Veränderungen hinsichtlich der Kommunikations- und Informationsprozesse: „Heutige Technologien erlauben Individuen einen unkomplizierten Austausch von Informationen und machen diese Informationen in einem bisher unbekannten Ausmaß öffentlich und global verfügbar.“[2] In Bezug auf Medien ist „sowohl die produktiv-technische Ebene als auch die Rezeptionsebene“[3] betroffen. Durch niedrigschwellige Produktions- und Distributionstools kommt es zu einer Verallgemeinerung der Publikationsmittel für breite Gesellschaftsschichten. Jeder Online-Nutzer ist potentiell in der Lage, Inhalte zu verarbeiten, zu verändern und weiterzugeben; diese privat erstellten Inhalte werden auch nutzergenerierte Inhalte oder abgekürzt UGC (User Generated Content) genannt. Dadurch verändern sich auch die klassischen Rollenbilder von Produzent und Rezipient, da Online-Nutzer fortan eine Doppelrolle einnehmen, indem sie gleichzeitig zu Produzenten und Konsumenten von Inhalten werden. Ein permanenter Mechanismus der Inhaltserstellung, -veränderung und -fortschreibung von privaten Online-Nutzern für private Online-Nutzer wird hierdurch ermöglicht.
Des Weiteren kann ein Trend zur Konsolidierung von Online-Nutzern auf Web-Plattformen, allen voran in sozialen Netzwerken, verzeichnet werden, die die Gesellschaft mittlerweile breit durchdringen. Inhalte, die in solchen Kommunikationsnetzwerken veröffentlicht werden, verändern sich wiederum hinsichtlich ihrer Verteilung von linear (1:n) zu polynomial (n:m), d. h. die Komplexität und damit die mögliche Berechnung der Verteilung wird extrem schwierig.
Das wesentliche Merkmal Sozialer Netzwerke ist, dass selbige Beziehungsnetzwerke darstellen, die wiederum Vertrauensnetzwerke erzeugen. Dies beeinflusst auch die Rezeption von Inhalten hinsichtlich ihrer Verbindlichkeit, da ein Vertrauensübertrag stattfindet, so dass von der Persönlichkeit des Veröffentlichenden auf den Inhalt geschlossen wird. Dieser Mechanismus greift auch bei der Multiplikation von Inhalten. Leiten mehrere Personen einen Inhalt weiter, mit denen ein Online-Nutzer in einem Sozialen Netzwerk eine Vertrauensstruktur aufgebaut hat, misst er dem Inhalt automatisch eine höhere Bedeutung zu und ist eher geneigt, sich diesen anzusehen.
Allgemein führt die Ubiquität von Technologie und Inhalten zu einer radikalen Verkürzung von Informationsketten wie auch die Distribution von Inhalten in Echtzeitdazu führt, dass der zeitliche Abstand zwischen Ereignis und Wahrnehmung nahezu gegen Null geht. Dies wird noch zusätzlich durch die steigende Verwendung mobiler Endgeräte begünstigt, die es Nutzern ermöglicht, Informationen ortsungebunden zu verarbeiten, zu distribuieren und zu multiplizieren – längst ist von einer Mediatisierung des Alltags die Sprache. Der Online-Nutzer führt seine eigene portable Sendestation immer mit sich, die gleichzeitig nicht nur zur Sendung, sondern auch zur Erstellung medialer Inhalte direkt vor Ort eingesetzt wird. Das Smartphone wird zum mobilen Produktionsstudie für Videos und Fotos. Online-Nutzer sind dadurch in der Lage, Offline-Geschehnisse unmittelbar in digitalisierte Medieninhalte mit dokumentarischem Charakter zu überführen. Mit ihrer Veröffentlichung geht die Speicherung der Inhalte einher, so dass das Internet das größte dokumentarische Archiv der Welt darstellt, das zudem sekündlich in nie dagewesenem Ausmaß wächst.
Der immense Einfluss von Technologie auf die Individuen, die Gesellschaft formen, umfasst soziale Handlungen, prägt neue soziale Muster aus und fördert neue Kulturtechniken. Internetmedien werden generell non-linear und simultan präsentiert, so dass sich über Jahrzehnte eingeübte mediale Rezeptionsmuster verändern und sich neue Formen des Geschichtenerzählens wie auch der formal-ästhetischen Aufbereitung digitaler Daten ausbilden (Transmedia Storytelling, Remix, Mashup).
Die Simultanität des Internets führt zu neuen Anforderungen hinsichtlich der Aufmerksamkeitsökonomie der Online-Rezipienten. Da alles immer und überall verfügbar ist, sich ständig wandelt und fortschreibt, wird die Fähigkeit des individuellen Filterns von Inhalten zunehmend wichtiger. Auch wenn die Archivfunktion des Internets dazu führt, dass theoretisch alle Inhalte verfügbar sind, sind diese dennoch höchst volatil, was in der begrenzten Aufmerksamkeitsspanne des Menschen begründet liegt. Darüber hinaus sind Internetmedien extrem emergent, was eine Kategorisierung zunehmend erschwert.
Hinsichtlich des Medienbegriffs sind generell ein Begriffs- bzw. ein Differenzierungsproblem zu beobachten. Die Begriffe traditionelle oder klassische Medien werden allgemein in Abgrenzung zu digitalen Medien gebraucht. Gemeint ist hier aber eigentlich die Unterscheidung von analogen und digitalen Medien. Die Bezeichnung digitale Medien wird wiederum synonym zu Neuen Medien verwendet, was sich aktuell auf Medien bezieht, die, wie oben definiert, in den binären Code überführt wurden. Der Begriff Neue Medien ist allerdings zeit- und kontextabhängig und wird meistens auf die neuesten medialen Entwicklungen bezogen; auch das Radio oder das Fernsehen wurden in der Zeit ihres Aufkommens als Neue Medien bezeichnet. Noch enger gefasst, meinen Neue Medien momentan eine Ansammlung von interaktiven und partizipativen Internet-Diensten wie z. B. soziale Netzwerke, Blogs, Foren, Image- und Videohoster oder Microblogging-Dienste. Diese werden auch wahlweise unter den Begriffen Web-2.0-Dienste, Social Media oder eingedeutscht Soziale Medien zusammengefasst.
Neue Medien werden jedoch begrifflich auch zur Abgrenzung von Social Media zu Medienformaten tradierter Medienanstalten verwendet, obgleich letztere auch zunehmend digital verfügbar sind. Hier bezieht sich die Unterscheidung in erster Linie auf den Medienproduzenten: Social Media meint von privaten Nutzern generierte Inhalte (UGC) im Gegensatz zu redaktionsgesteuerten Inhalten klassischer Formate wie z. B. die redaktionellen Angebote großer Tageszeitungen oder Fernsehsender. Die Grenzen sind indes fließend bis schwammig, da auch die sog. klassischen Medien (TV, Print, Radio) zunehmend in die neuen oder sozialen Medien überführt bzw. integriert werden. So bereiten Medienanstalten ihre Inhalte in Mediatheken auf, schaffen eigene Online-Angebote mit eigenständigen Redaktionen oder verwenden aktiv Social-Media-Dienste.
Die simpelste und treffendste Unterscheidung scheint die zwischen Off- und Online-Medien zu sein und innerhalb letzterer, zwischen redaktionell (also professionell) erstellten Medieninhalten und solchen, die von privaten Internetnutzern in Eigenregie produziert werden [4].
An dieser Stelle wird deutlich, dass man in erster Linie von einer Digitalisierung der Mediengesellschaft sprechen sollte, da es im Kern um bisher neue Formen der vernetzten Erstellung, Distribution, Rezeption und Multiplikation von Inhalten privater Internetnutzer in der horizontalen Gesellschaft geht. Erst auf dieser Grundlage bilden sich auch neue Formen der medialen Öffentlichkeit heraus, begleitet von neuartigen Massenkommunikationsphänomenen, die ganz reale gesellschaftspolitische Auswirkungen haben können. Oftmals geht es hierbei um die Hinterfragung tradierter Herrschaftssysteme, die Kritik an selbigen wie auch an deren Vertretern und die Suche nach alternativen Modellen. Die Trennung zwischen privater und öffentlicher Sphäre gerät überdies zunehmend ins Wanken, so dass eine saubere Unterscheidung mittlerweile genauso schwierig erscheint, wie eine Unterscheidung in On- und Offline-Identitäten. Fakt ist, dass die Nivellierung der Produktionsmittel zur Medienerstellung, die vernetzte Publikation und Distribution medialer Inhalte und die neuen Möglichkeiten zur Selbstorganisation und kollaborativer Arbeit im Internet zu einer gesteigerten Einforderung von Partizipation an gesellschaftspolitischen Prozessen führen. Die technologische Innovation ermöglicht diese Prozesse in nie dagewesener Form und wirkt damit auf Politik und Demokratie ein.
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[1] Unter Echtzeit wird hier verstanden, dass eine Information, die im Internet publiziert wird, sofort für alle Internetnutzer auffindbar ist.
[2] Reich, Sven; Weber, Arnd und Weinberger, Nora 2010: ITA-Monitoring „Klebrige Informationen“ (Kurzstudie). Karlsruhe: KIT: S. 6.
[3] MedienKulturWiki (Großmann, Stefan und Grote, Lion) 2008: Digitalisierung.
(07.05.2012)
[4] „Die Kommunikationsprozesse des Internets sind, im Vergleich zu klassischen Medien, keine typischen Bereiche von professionellen oder bürokratischen Organisationen und verhalten sich auch in den meisten Fällen nicht zentralisiert“. In: Russ 2010: S. 157.